Auch Tiere brauchen «Strassen»
Das ASTRA errichtet verschiedene Bauwerke, die kleinen und grossen Wildtierarten das Überqueren der Nationalstrassen ermöglichen. Damit diese Übergänge von Tieren auch genutzt werden, müssen sie so gestaltet sein, dass sie ihnen möglichst vertraut erscheinen.
Mobilität ist nicht nur ein Bedürfnis der Menschen, sondern auch eine Notwendigkeit für Tiere. Letztere bewegen sich allerdings nicht, um in ihrer Freizeit ein Thermalbad zu besuchen oder in ein Skigebiet zu fahren – wie dies der Mensch in 43 Prozent der Fälle tut –, sondern um ihre grundlegenden Bedürfnisse zu stillen. «Sie durchstreifen ihren Lebensraum auf der Suche nach Nahrung, ungestörten Rückzugsgebieten oder zur Fortpflanzung», erklärt Marguerite Trocmé-Maillard, Leiterin des Bereichs Umwelt beim ASTRA. Die Länge der zurückgelegten Strecken variiert je nach Tierart stark: Bei Käfern sind es nur wenige Meter, Amphibien bewältigen mehrere hundert Meter und Hirsche und Wildschweine wandern sogar weit über 100 Kilometer.
Während sich Tiere mit Vorliebe zwischen Büschen und Bäumen bewegen, bevorzugen die Menschen Wege und Strassen. Diese menschengemachten Routen durchschneiden unweigerlich die sogenannten Wildtierkorridore, fragmentieren die Lebensräume und schaffen sogar neue Gefahren für die Tiere, wenn diese eine Strasse queren müssen. «Strassen, auf denen täglich etwa 10 000 Fahrzeuge verkehren, stellen für Tiere praktisch unüberwindbare Barrieren dar», so Marguerite Trocmé-Maillard.
Das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG) schafft hier jedoch Abhilfe: Gemäss Artikel 18 Absatz 1ter haben Verursacher von «Beeinträchtigungen schutzwürdiger Lebensräume […] für besondere Massnahmen zu deren bestmöglichem Schutz […] zu sorgen.»
Zäune – eine «grenzwertige» Massnahme
Tiere müssen vor den Risiken einer Strasse geschützt werden; umgekehrt können grosse Tiere auf der Autobahn aber auch zur Gefahr werden für Verkehrsteilnehmende. Um Zusammenstösse zwischen Fahrzeugen und Tieren zu verhindern, hat der Schweizerische Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute (VSS) in den 1970er-Jahren eine Norm für Wildzäune veröffentlicht. Diese Zäune verschärfen jedoch die Zerschneidung der natürlichen Lebensräume und bewirken, dass viele Tiere, insbesondere Huftiere, die Autobahnen nicht mehr passieren können. In Gebieten, in denen kleinere Tierarten wie der Feldhase geschützt werden müssen, verfügen diese Zäune, die grundsätzlich für Grosswild (Hirsch, Reh, Wildschwein) gedacht sind, zudem über eine feinere Maschenweite, sodass solche Kleintiere nicht hindurchschlüpfen können.
Investitionen in Höhe von 30 Millionen Franken
Damit die Strassen den Lebensraum der Tiere möglichst wenig beeinträchtigen und auch die Verkehrssicherheit erhöht wird (wenn die Tiere keine geeignete Überquerungsstelle finden, kreuzen sie die Strasse einfach irgendwo), errichtet das ASTRA verschiedene Wildtierpassagen. Für die 41 bisher erstellten Übergänge für Grosswild wurden zwischen 2013 und 2022 rund 30 Millionen Franken investiert. Die spektakulärste – und teuerste – Massnahme sind die Wildtierüberführungen, die seit 1992 gebaut werden. Eine dieser Wildtierbrücken wird demnächst auf der Autobahn A1 bei Mühleberg eingeweiht.
Damit Hirsche, Rehe und Wildschweine – die «Zielgruppe» solcher Infrastrukturen – diese auch nutzen, müssen die Passagen möglichst naturnah gestaltet sein. Das heisst, sie sind mit einer Vegetation zu bepflanzen, die jener der Umgebung ähnelt, und der Übergang von der umliegenden Landschaft zur Infrastruktur muss so sanft wie möglich sein. Auch der Boden soll dem Gelände am Waldrand nahekommen; daher wird eine 30 bis 50 Zentimeter dicke Schicht aus Humus und Rohboden aufgeschüttet.
Die meisten Tiere fühlen sich wohl
Foto- und Videofallen des ASTRA liefern Material, das den Erfolg dieser Über- und Unterführungen entlang der Nationalstrassen belegt. Am häufigsten laufen Rehe vor die Linse. «Die Videoaufnahmen zeigen, dass einige Tiere sogar auf diesen Bauwerken verweilen, was ein Indikator für Wohlfühlverhalten ist», sagt Marguerite Trocmé-Maillard. Andere Tiere, beispielsweise Hirsche, sind etwas «komplizierter». Sie meiden die Unterführungen und nutzen lediglich die Überführungen.
Mithilfe der Fotofallen lässt sich auch beobachten, dass zahlreiche kleinere Säugetiere, wie Marder, Iltisse, Mäuse und Igel, die Überführungen benutzen – auch wenn diesen Kleintieren eigens für sie angelegte Durchlässe (Röhren, die unter den Strassen verlaufen) zur Verfügung stehen würden. Auch Amphibien, so zum Beispiel Frösche und Salamander, kommen nicht zu kurz: Die für sie erstellten Unterführungen werden mit naturnahem Bodenbelag ausgestattet, damit sich die Tiere möglichst wohlfühlen. «Insgesamt erfüllen diese Infrastrukturen ihren Zweck sehr gut», freut sich Marguerite Trocmé-Maillard. Aufgrund der positiven Erfahrungen will das ASTRA den eingeschlagenen Weg weiterverfolgen: 4 Wildtierpassagen werden derzeit gebaut, rund 15 weitere sind in Planung.
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