Gotthardpass-Öffnung: zwischen Planung und dem Einfluss der Natur
Der Gotthardpass stellt eine wichtige Nord-Süd-Verbindung dar. Gerade deshalb steht er so im Fokus, wenn es um seine jährliche Wiedereröffnung geht. Ein Einblick in die Vorbereitungsarbeiten.
Es ist einer der letzten Apriltage. In den Tagen zuvor ist nochmals einiges an Schnee gefallen, selbst im Flachland. Wir schnallen uns das Lawinenschutzgerät um die Brust, ziehen die warme Jacke über und los geht’s. Lawinenschutzgerät? Ja, die Sicherheit geht vor und oben auf dem Gotthardpass spielt die Natur nach ihren eigenen Regeln. Zwei Drittel der Gotthard-Passstrasse zwischen Hospental und Airolo liegt in potenziell lawinengefährdetem Gebiet. Das Stichwort «Sicherheit» sollte an diesem Tag noch einige Male fallen.
Zwei Jahreszeiten
Als wir aus dem Gotthard-Südportal rausfahren scheint klassischerweise die Sonne. Es herrscht Frühlingsstimmung. Doch der Schein trügt. Während wir langsam Kurve um Kurve von der Südseite her die Passstrasse hochfahren, kommen die Schneemassen in der Höhe immer mehr zum Vorschein. Von unten her beginnend wurde die Strasse bereits geräumt, hier fiel auch kein Neuschnee mehr. Die vom Schnee befreiten Strassen geben den Blick frei auf Baumstrunke, die mitten auf der Fahrbahn liegen und grosse, weit in die Strasse ragende Äste. «Ein aussergewöhnlicher Anblick» kommentiert Werner Gnos, der zuständige Vorarbeiter vom Amt für Betrieb Nationalstrassen AfBN (siehe Box). Man wisse jeden Frühling nicht, was einen dort oben erwarte: «Die Bedingungen (Schneemenge, Fels, Wetterverhältnisse), die wir antreffen, sind immer wieder anders».
Viel mehr als nur Schneeräumen
Wer jetzt denkt, dass um eine Passstrasse zu öffnen, einzig der Schnee von den Strassen geräumt werden muss, der irrt sich. Zwar ist die Schneemenge insbesondere nach dem schneereichen Frühling dieses Jahr oben auf der Passhöhe noch massiv. Nur die Fähnchen, die mittels GPS-Vermessung gesetzt wurden, zeigen den Strassenverlauf unter der Schneedecke an. Doch sobald sich die grossen Fräsen ihren Weg durch den Schnee gebahnt haben, geht die Arbeit erst richtig los. Mit der Schneeschmelze werden Steine freigelegt, die instabil auf den steilen Hängen oberhalb der Strasse liegen. Lawinen oder Schneerutschungen können diese mitreissen und Steinschlag bis auf die Strasse hinunter verursachen. Ein grosser Anteil der Vorbereitungsarbeiten für die Passöffnung besteht deshalb darin, diese losen Steine von den Hängen zu räumen. Eine nicht ungefährliche Arbeit. Diese Felsräumungsarbeiten sind am Tag der Passöffnung noch längst nicht abgeschlossen und dauern bis in den Sommer hinein, bis der Schnee auch in den höheren Lagen geschmolzen ist. So kann es vorkommen, dass die Passstrasse auch nach der Öffnung aufgrund von Steinschlag oder um Schneewechten zu sprengen nochmals temporär geschlossen werden muss. Sobald die Strasse schneebefreit ist, montieren die Mitarbeitenden des AfBN wieder alle Leitplanken und Verkehrssignale. Um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten, müssen diese verständlicherweise auch vor dem Öffnungstag angebracht sein. Sie über den Winter nicht zu entfernen ist allerdings keine Option. Erfahrungen haben gezeigt, dass nicht entfernte Leitplanken durch die schwere Schneelast oftmals komplett verbogen werden.
Die Natur sitzt am längeren Hebel
«Die Arbeiten für die Passöffnung folgen einem klaren Ablauf, der zwischen AfBN und ASTRA festgelegt wird», erklärt Ferdinand Moor, Fachspezialist Kontrolle Betrieb und Stellvertretender Streckenmanager der Infrastrukturfiliale Zofingen. Doch das letzte Wort hat hier oben immer die Natur. «Temperaturschwankungen und Witterung haben eine massive Auswirkung auf die Arbeiten und ob sie durchgeführt werden können», so der Stv. ASTRA-Streckenmanager. Jeden Tag führt das AfBN eine Lagebeurteilung durch: gab es Neuschnee, kam ein Schneebrett herunter, hat es geregnet und ist deshalb mit viel schwerem Schnee zu rechnen? Ist das Risiko zu gross, werden die Arbeiten im entsprechenden Gebiet unterbrochen. Nebel und Schneeverwehungen sind auch nicht zu unterschätzen. Alle Mitarbeitenden kennen das Gebiet gut und sind seit Jahren dabei. Funktionierende Zusammenarbeit und Gebietskenntnis sind wichtig für die Sicherheit aller Involvierten: «Wenn du mit einer Fräse über den schneebedeckten Grund fährst, musst du die Schneebeschaffenheit kennen, sonst kannst du plötzlich kippen», unterstreicht Werner Gnos vom AfBN die Wichtigkeit der Gebietskenntnis. Deshalb kommuniziert das ASTRA das Datum der Öffnung der Gotthard-Passtrasse meist auch nur unter Vorbehalt. Weil die Natur am Gotthard eben immer mitredet. So auch dieses Jahr. Und ja, wenn die Schranken geöffnet werden und dann die ersten Motorrad- und Autofahrerinnen und -fahrer an den teilweise noch meterhohen Schneemauern vorbei über den Pass fahren, dann gibt das ein eindrückliches Bild ab.
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