Die Geschichte hinter dem «Ypsilon»

Das Zürcher «Ypsilon» bietet Einblicke in ein interessantes Kapitel der Verkehrsplanung der Stadt. Noch immer ist es nicht ganz abgeschlossen.

Hardturm, Letten, Wiedikon. In der Stadt Zürich enden drei Autobahnen. Die Zubringer im Westen, Norden und Süden liegen nur wenige Kilometer Luftlinie voneinander entfernt. Dazwischen ballen sich Gebäude, Strassen, Tramschienen, Gleise und der Hauptbahnhof. Mit Limmat und Sihl fliessen zwei Gewässer durch die Stadt. Ein Zusammenschluss der drei Nationalstrassen in derart dicht besiedeltem Gebiet – in der Nachkriegszeit ein Symbol des Wohlstands – ist aus heutiger Sicht schwer vorstellbar.

Tatsächlich aber geht die heutige Lage der Autobahnenden auf das Vorhaben zurück, eine Expressstrassen-Verbindung – aufgrund ihrer charakteristischen Form «Ypsilon» genannt – mitten durch Zürich zu bauen. Die Pläne stammen aus den 1960er-Jahren. Der Bau dieser Verbindung sollte die Stadt sowohl von Transit- wie auch von innerstädtischem Verkehr entlasten. 1962 genehmigte der Bundesrat das Projekt. In den darauffolgenden Jahren wurde es weiterentwickelt.

Ein Verkehrsdreieck im Letten hätte die drei Autobahnzubringer zusammengeführt (ASTRA).

Das Expressstrassen-Y sah einen Abschnitt der A1 der Limmat entlang bis zu einem Verkehrsdreieck im Letten vor. Ein weiteres Teilstück hätte das Dreieck mit dem Milchbucktunnel verbunden. Die Verbindung zur A3 im Süden der Stadt hätte die Gleise des Hauptbahnhofs über ein Viadukt gequert, um danach über die Sihlhochstrasse nach Brunau zu führen. Eine spätere Projektvariante beinhaltete dann einen Tunnel unter dem Hauptbahnhof hindurch, um A1 und A3 zu verknüpfen.

Nur noch toter Buchstabe?

Was ist aus den Plänen geworden? Realisiert wurden der Milchbucktunnel als Verbindung zwischen Letten und Aubrugg (A1L), das Teilstück von Brunau über die Sihlhochstrasse nach Wiedikon (A3W) sowie die Autobahn bis zum Anschluss Hardturm (A1H) mit Verlängerung als Expressstrasse bis zur Hardbrücke. Zur Netzvollendung mit Autobahndreieck im Letten kam es nie.

Luftaufnahme vom Bau des Milchbucktunnels aus dem Jahr 1986 (Archiv Tiefbauamt Kanton Zürich).
Der Milchbucktunnel im Innern, 2015 (ASTRA).

Anfang 2022 folgte das endgültige Aus des längst aufgegebenen Bauprojekts, als der Bundesrat die Streichung des Ypsilons aus dem Nationalstrassennetz veranlasste. Die Streichung wurde daraufhin vom Parlament angenommen und jetzt durch eine entsprechende Anpassung der Nationalstrassenverordnung finalisiert.

Der Transit-Verkehr wurde noch durch die Stadt geführt. Die Auffahrt zur Sihlhochstrasse in Brunau im Jahr 1992 (Archiv Tiefbauamt Kanton Zürich).

Für das Scheitern des Zürcher Ypsilons gibt es verschiedene Gründe. Zu nennen sind auf der einen Seite politische Widerstände. Anfang der 70er-Jahre wurde eine kantonale Volksinitiative eingereicht, die forderte, das Stadt-Y aus dem Nationalstrassennetz zu streichen. Die Initiative wurde abgelehnt, wobei die Mehrheit der städtischen Bevölkerung die Vorlage angenommen hatte. Daraufhin folgten weitere Vorstösse und Diskussionen. Eine tragfähige sowie realisierbare Variante rückte jedoch in weite Ferne.

Des Weiteren zeichnete sich schon damals ab, dass das Ypsilon keine langfristige Lösung für den stark zunehmenden Verkehr bieten würde. So wurden bereits früh andere Ansätze verfolgt. 1985 wurde die Nordumfahrung Zürich eröffnet. 2009 folgte die Westumfahrung, die für den Lückenschluss zwischen A1 und A3 sorgte. Die Autobahnen führen heute nicht durch die Stadt, sondern um Zürich herum.

Aus dem Tunnel für das Auto wird einer für das Velo

Einen Stadttunnel, durch den Autos den Hauptbahnhof unterqueren, wird es vorerst nicht geben, wobei der Rohbau des Tunnels zum Teil schon existiert (siehe Titelbild, Tiefbauamt Stadt Zürich). Er wurde ab Ende der 80er-Jahre als Vorinvestition im Zuge des Baus der beiden unterirdischen Bahnhöfe Museumsstrasse und Löwenstrasse errichtet und blieb bisher ungenutzt. Im Jahr 2011 wurde die Idee lanciert, aus dem Tunnel eine Veloverbindung zu machen.

Am 13. Juni 2021 sagten 74 Prozent der Zürcherinnen und Zürcher Ja zum Vorhaben. Damit wird die rund 200 Meter lange Betonröhre zwischen Kasernenstrasse und Sihlquai in Zukunft als sichere Veloverbindung unter dem Hauptbahnhof dienen. Die Stadt plant, die Bauarbeiten bis zum Ende des Jahres 2024 abzuschliessen. Für die Veloförderung ist der Stadttunnel ein entscheidender Schritt vorwärts. Mit ihm entsteht eine sichere und einfache Verbindung zwischen den Stadtkreisen 4 und 5. Zudem bringt er die Velofahrenden noch schneller zum öffentlichen Verkehr. Über eine neue Velostation mit ungefähr 1100 geschützten und kostenfreien Veloabstellplätzen wird er direkt mit der Passage Sihlquai des Hauptbahnhofs verbunden.

Der Kanton Zürich, dem der Tunnel gehört, gewährt der Stadt vorerst bis 2041 das Nutzungsrecht von ebendiesem. Die Nutzungsdauer kann jedoch verlängert werden – sofern die Pläne für einen Strassentunnel nicht doch noch einmal aus der Schublade genommen werden.

Der Velotunnel soll ab 2024 Kasernenstrasse und Sihlquai verbinden (Visualisierung Tiefbauamt Stadt Zürich).

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